Wie können wir Klimaschutz in Hamburg sozial gerecht gestalten?
Wie können wir Klimaschutz in Hamburg sozial gerecht gestalten?
Ein experimenteller Modellierungsversuch des City Science Lab im Rahmen des Connected Urban Twins Projektes
Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit sind drängende Themen der heutigen Stadtentwicklung. Doch wie kann sozial gerechter Klimaschutz funktionieren? Und wie können digitale Stadtzwillinge dabei unterstützen?
Dafür haben wir im City Science Lab ein Experiment gestartet. Unser Ziel ist es, die gemeinsame und partizipative Entwicklung von digitalen Modellen und Simulationen zu erforschen und deren Beitrag zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung zu untersuchen. Dafür wurden von Februar bis Mai 2023 insgesamt vier Workshops mit Teilnehmenden aus Behörden, Interessenverbünden, Zivilgesellschaft und der Privatwirtschaft durchgeführt. Diese Website bietet einen Überblick über den Verlauf des Experiments und dessen Ergebnisse. Wenn Sie mehr erfahren wollen, kontaktieren Sie uns gern.
Was sind digitale Stadtzwillinge?
Digitale Stadtzwillinge vereinigen die digitalen Ressourcen einer Stadt, um diese für Fragestellungen der nachhaltigen und integrierten Stadtentwicklung anwendbar zu machen. Digitale Ressourcen können beispielsweise Daten, Algorithmen, Tools & Anwendungen sein.
Mehr Informationen hierzu finden Sie auf
www.connectedurbantwins.deHintergrund
Entscheidungen für die zukünftige Stadtentwicklung werden zunehmend auf der Grundlage von Daten und Algorithmen getroffen. Während Hamburgs städtische Daten immer offener und zugänglicher werden, steckt eine offene und gemeinsame Entwicklung von Algorithmen und Simulationsmodellen noch in den Kinderschuhen. Darum möchten wir experimentieren und herausfinden: Wie kann eine gemeinsame und digitale Modellentwicklung funktionieren? Wie können verschiedene Perspektiven Gehör und Repräsentation in digitalen Simulationen und Algorithmen finden?
Unser Ziel
In einer Reihe von Workshops gemeinsam mit Vertreter:innen der Stadtverwaltung und der Zivilgesellschaft ein transparentes digitales Simulationsmodell zu entwickeln. Dieses Modell soll dazu dienen, verschiedene Szenarien zu simulieren und uns dabei zu unterstützen, dem Ziel einer klimagerechten Stadt näher zu kommen. Konkret wurde gemeinsam mit verschiedenen Interessengruppen das Thema "Energetische Modernisierung und ökonomische Gentrifizierung" untersucht.
Verlauf des Experiments
Kick-Off Workshop 1
7. Februar 2023
7. Februar 2023
intro
Am 7. Februar startete der erste Online-Workshop des City Science Lab mit dem Thema "Sozial gerechter Klimaschutz in Hamburg". Das Ziel bestand darin, eine klare und gemeinsame Fragestellung zu finden, um diese in einem gemeinschaftlichen Modellierungs- und Simulationsprozess weiter zu bearbeiten.
ort
Online
TEILNEHMENDE / INSTITUTIONEN
- Vertreter:innen der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
- Vertreter:innen der Mieterschutzverbände
- Vertreter:innen Stadtentwicklungs- und Erneuerungsgesellschaft Hamburg mbH
- Vertreter:innen der Gemeinwesenarbeit auf St. Pauli e.V.
- Vertreter:innen des Einwohnerverein St. Georg von 1987 e.V.
- Vertreter:innen des Urbanista GmbH & Co. KG
ERGEBNISSE
In einem Meinungsbild sprach sich die große Mehrheit der Teilnehmenden dafür aus, am Thema „Energetische Gebäudesanierung ohne Gentrifizierungseffekte“ arbeiten zu wollen und hierfür ein Simulationsmodell im Rahmen der experimentellen Forschung des „Connected Urban Twins“ Projektes co-kreativ zu entwickeln. Dies wurde im Rahmen zwei halbtägiger Workshops und eines ganztägigen Workshops bis Ende Mai 2023 durchgeführt.
Workshop 2
28. März 2023
28. März 2023
intro
Am 28. März fand im CSL der zweite Workshop statt, der sich konkret mit der energetischen Sanierung und ökonomischen Gentrifizierung auf gesamtstädtischer Ebene beschäftigte. Dabei wurde gemeinsam ein erstes digitales Modell entwickelt. Vertreter:innen der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen sowie der Mieterschutzverbänden haben auf städtischer Ebene relevante Aspekte identifiziert und miteinander in Verbindung gebracht.
ort
City Science Lab
TEILNEHMENDE / INSTITUTIONEN
- Vertreter:innen der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
- Vertreter:innen der Mieterschutzverbände
ERGEBNISSE
Zentrale Faktoren und Wechselwirkungen des Modells wurden in gemeinsamer Arbeit mit einem browserbasierten Simulationstool identifiziert, gesammelt und verknüpft. Die herausgearbeiteten Aspekte und Zusammenhänge können unter diesem Link näher betrachtet werden. Pfeile zeigen die Beziehungen an ("+" bedeutet Zusammenhang, "-" bedeutet Gegenwirkung). Das Modell fokussiert auf Wohnkosten und energetische Sanierungen. Steigende Sanierungskosten erhöhen Wohnkosten, während weniger Energieverbrauch diese senkt und CO2-Emissionen reduziert. Ökonomische Gentrifizierung resultiert aus geringerem verfügbaren Einkommen durch steigende Wohnkosten. Rahmenbedingungen wie Inflation, Zinsniveau und Klimavorschriften beeinflussen weitere Aspekte des Modells.
Auswahl eines Quartiers: Rothenburgsort
Für den nächsten Schritt wurden konkrete Quartiere in Hamburg besprochen, die den Zusammenhang zwischen energetischer Sanierung und ökonomischer Gentrifizierung verdeutlichen. Entscheidende Kriterien waren ein hoher Mietwohnungsanteil, gemischte Eigentümerstrukturen und notwendige Sanierungen bei niedrigem Durchschnittseinkommen. Rothenburgsort wurde aufgrund bevorstehender Veränderungen und potenzieller Auswirkungen ausgewählt.
Workshop 3
26. April 2023
26. April 2023
intro
Am 26. April 2023 fand im CSL der dritte Workshop zum Thema energetische Modernisierung und ökonomische Gentrifizierung statt. Dieser Workshop konzentrierte sich auf das Wohnquartier Rothenburgsort südlich der S-Bahn-Trassen als konkretes Beispiel auf Quartiersebene.
ZIEL
Der Workshop zielte darauf ab, ein agentenbasiertes Modell (ABM) zu entwickeln. ABMs sind Simulationen, die seit den 1990er Jahren genutzt werden, um komplexe Systeme zu modellieren. Sie verwenden autonom handelnde Agenten, um Interaktionen in einem simulierten Raum darzustellen. ABM ist eine Standardmethode in der Simulation sozialer Systeme, die beispielsweise in der Stadtentwicklung eingesetzt wird, um Fußgängerströme oder Evakuierungsszenarien zu simulieren
ort
City Science Lab
TEILNEHMENDE / INSTITUTIONEN
- Vertreter:innen der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen,
- Vertreter:innen der Mieterschutzverbände,
- Vertreter:innen des Grundeigentümerverband
- ein Anwohner aus Rothenburgsort
ERGEBNISSE: AKTEURE RESSOURCEN PROZESSE INTERAKTIONEN
Die Ergebnisse werden in den folgenden Seiten zusammengefasst und können auch unter diesem Link genauer betrachtet werden.
AKTEURE
- Akteure im Quartier wurden gesammelt, klassifiziert und miteinander in Beziehung gesetzt.
-
Drei Hauptcluster an direkt involvierten Akteuren:
- Gebäudeeigentümer: Vermieter:innen, Einzeleigentümer:innen, Genossenschaften, Hedgefonds, SAGA und Wohneigentümergemeinschaften (WEGs)
- Anwohner:innen, die auch Mieter:innen sein können
- Gewerbetreibende: Einzelhandel, Industrie, Gastronomie, Hotelbetriebe – viele in Rothenburgsort vertreten
- Indirekte Einflüsse auf energetische Modernisierung und ökonomische Gentrifizierung:
- Beratungsangebote, bezirkliche Einrichtungen, Behörden, Wohnungssuchende, politische Institutionen/Gremien
- Der Stadtteilbeirat als Informationsplattform für den Austausch aller Akteure
- Lokal spezifische Akteure: temporär untergebrachte Geflüchtete, Kunst- und Kulturinstitutionen wie Mikropol
RESSOURCEN
- Ressourcen der Akteure wurden gesammelt, geclustert und priorisiert.
- Große Cluster: Geld, Fläche, Wissen.
- Wichtige Ressourcen: Beratung, Handwerks- und Bauleistungen.
- Diskussion zur Operationalisierung und Skalen-Einteilung: "niedrig" - "mittel" - "hoch".
PROZESSE
Prozesse zur energetischen Modernisierung und ökonomischen Gentrifizierung im Quartier wurden gesammelt und priorisiert.
- Verdrängung: Start mit Mieterhöhung oder Modernisierungszwang, finanzieller Druck, Umzugsentscheidung.
- Mieterhöhung: Beginnend mit der Eigentümer:innen-Entscheidung zur Modernisierung, Finanzierung, Baumaßnahmenankündigung, Mieterhöhungsberechnung und letztlich der Mitteilung der Mietpreiserhöhung.
INTERAKTION
Zuletzt wurden die zuvor gesammelten Akteure mit den Ressourcen und Prozessen in einem großen Schaubild verbunden. Die einzelnen Pfeile verdeutlichen eine Interaktion zwischen Akteuren-Akteuren oder Akteuren-Ressourcen und beschreiben diese mit einem Verb. Die Prozesse sind den Interaktionen zugeordnet, damit deutlich wird, welche Interaktionen der Prozess beeinflusst bzw. während welcher Interaktionen welche Prozesse ablaufen.
Workshop 4
24. Mai 2023
24. Mai 2023
intro
Am 24. Mai 2023 wurde im City Science Lab der HafenCity Universität Hamburg der Abschlussworkshop des Experiments abgehalten. Dabei wurden die zwei auf Grundlage der vorherigen Workshops entwickelten Simulationsmodelle vorgestellt und gemeinsam überprüft. Ziel war es, fehlende Aspekte in den Modellen zu identifizieren, den Einfluss auf die Entkopplung der Zusammenhänge zu diskutieren und mögliche nächste Schritte zu erarbeiten.
ort
City Science Lab
TEILNEHMENDE / INSTITUTIONEN
- Vertreter:innen der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
- Vertreter:innen der Mieterschutzverbände,
ERGEBNISSE: Modell 1 Gesamtstadt, Modell 2 Rothenburgsort
Modell 1 Gesamtstadt
- System Dynamics Modell der Gesamtstadt mit Insight Maker Tool am 28.03.2023 entwickelt
-
Sieben Teilmodelle:
- Test Bevölkerung und Wohnen: Simuliert Gesamtwohnfläche und Anzahl der Wohngebäude
- Energetische Modernisierungsmaßnahmen: Simuliert Investitionen und Reduzierung des Energiebedarfs und der Kohlenstoffemissionen
- Wärmeversorgung der Gebäude: Modelliert fossile, erneuerbare und Fernwärmeversorgung
- Energie und Klima: Berechnet Energiebedarf, Kosten und Emissionen basierend auf Wärmeversorgung und Modernisierung
- Modernisierungsmieterhöhung: Modelliert Mieterhöhungsentscheidungen
- Lebenshaltungskosten: Simuliert Entwicklung der Wohnkosten und deren Komponenten
- Ökonomische Gentrifizierung: Simuliert Anzahl der gentrifizierten Personen
- Modelldetails sowie Download hier: Link
Modell 2 Rothenburgsort
- Agentenbasiertes Modell für Rothenburgsort basierend auf dem Workshop am 26.04.2023
- Verwendete Daten: 8.945 Einwohner*innen, modellierte Mietpreise, diverse Gebäudestatus
-
Modelldetails:
- test Abbildung der Modernisierungsentscheidungen der Gebäudeeigentümer*innen
- Gebäudestatus: Nicht begonnen, In Finanzierung, In Planung, In Bau, Modernisiert
- Kostenberechnung basierend auf Durchschnittskosten für Modernisierung und Maximaler Mieterhöhung
- Entscheidungen der Agenten nach Mieterhöhung
- Modelldetails sowie Download hier: Link
Modelldiskussion: Identifizierte Aspekte für realistischere Abbildung der Realität
-
Aufgeführte Aspekte:
- Integration der sozialen Erhaltungsverordnung zur Verhinderung von Aufwertungs- und Modernisierungsmaßnahmen
- Umgang mit Neubauten und deren Energieverbrauch aufgrund von Bevölkerungswachstum
- Differenzierung der Inflation: Trennung von Mietpreisentwicklung und sonstigen Preissteigerungen
- Einbindung fehlender/aktuellerer Daten für Rothenburgsort im agentenbasierten Modell
Ergebnisse
Wir laden Sie ein: Schauen Sie sich die Ergebnisse der Workshops and und experimentieren Sie mit den Modellen! Wichtig: Es handelt sich um keine umfassenden Abbildungen, sondern um erste Annäherungen und dem Ergebnis nach insgesamt vier Workshops. Wenn Sie daher Aspekte vermissen oder Fragen, Anregungen und Kritik haben, kontaktieren Sie uns gern. Gleichzeitig möchten wir uns bei allen Teilnehmenden für ihr Engagement, Zeit und die Teilnahme herzlich bedanken!
WIE GEHT ES WEITER?
Das Realexperiment ist mit der vierteiligen Workshopserie abgeschlossen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden nun wissenschaftlich aufgearbeitet. Einen bereits veröffentlichten Artikel finden Sie hier.
Basierend auf den Erkenntnissen arbeitet City Science Lab als Forschungspartner im „Connected Urban Twins“ Projekt weiter daran, eine Transformation in Richtung nachhaltige Stadtentwicklung mit digitalen Tools zu unterstützen. In 2024 werden die im Experiment verwendeten Technologien und Prozesse weiterentwickelt und im Funktionsumfang sowie in der Einbettung in bestehende Prozesse erweitert.
Gleichzeitig hoffen wir, dass die entwickelten Modelle praktisch genutzt werden können und damit die Arbeit an der Schnittstelle von Klimaschutz und sozialer Gerechtigkeit unterstützen. Wir stehen für Fragen zur Anpassung und Nutzung der Modelle zur Verfügung und freuen uns auf den fortlaufenden Austausch!